Beschreibung
Warum?
Das ist die am häufigsten gestellt Frage, wenn man sich mit diesem Werk befaßt.
Seine Konstruktion ist so außergewöhnlich, seine Größenverhältnisse so praxisfern, dass man sich fragt, was es mit diesem Werk auf sich hat. Eine wirklich nachprüfbare Erklärung dafür konnte bislang allerdings niemand geben, möglicherweise sollte es nur demonstrieren, wie weit die russische Uhrmacherei binnen weniger Jahrzehnte gekommen war.
Aber der Reihe nach:
Das Raketa 2209 besitzt, wie es die Kalibernummer schon andeutet, einen Durchmesser von 9 3/4 Linien, also 22mm. Für Damenuhren eher groß, für Herrenuhren geradezu winzig.
Die Verarbeitung ist tadellos, an Lagersteinen wurde nicht gespart, selbst das Sekundenrohr zifferblattseitig, durch das die dünne Zentralsekundenwelle geführt wird, besitzt im Inneren(!) einen Lochstein.
Schön zu erkennen ist hier bei 3 Uhr relativ nah der Mitte der Lagerstein des Kleinbodenrads, das zifferblattseitig das Zeigerwerk antreibt. Durch diese Konstruktionsweise steht dem restlichen Werk der fast vollständige Radius für Federhaus und Unruh zur Verfügung, die beide recht groß ausfallen können.
Der vor allem wegen des Übertragungsrads, das ohne Trieb auskommt, und dessen beiden Zapfen bis auf Bruchteile eines Millimeters gleich lang sind, nicht wirklich intuitiv zu erfassende Räderwerk ist wirklich ungewöhnlich!
Das Federhaus treibt zuerst ein Übertragungsrad an, welches auf das Großbodenrad einwirkt, dann kommt das doppelt ausgeführte Kleinbodenrad, das Sekundenrad und schließlich das Ankerrad. Letzteres besitzt werksseitig einen Deckstein mit einer hauseigenen Stoßsicherung.
Das Federhaus selber ist außergewöhnlich dünn, was zur Folge hat, dass auch die Zugfeder schmal ausgeführt ist und weniger Energie speichern bzw. abgeben kann.
Die doppelte Ausführung des Kleinbodenrads verhindert, dass das von ihm angetriebene Zentralsekundentrieb Spiel hat und damit zu einem “Flattern” bzw. zu einer unruhigen Fortschaltung der Zentralsekunde führt - ganz ohne Friktionsfeder die dem durch das zusätzliche Rad ohnehin schon kräftezehrendem Räderwerk weitere Energie entziehen würde.
Als Unruh kommt eine recht flache Schraubenunruh zum Einsatz, die zwei sehr dünne, lange Schenkel besitzt. Die Schrauben sind in identischer Distanz zueinander auf dem Unruhreifen angebracht, haben also mehr kosmetische Funktion, als dass sie zum Auswuchten der Unruh taugen würden. Bei russischen Werken kommt das allerdings oft vor.
Die Unruh arbeitet mit halbschnellen 19800 Halbschwingungen pro Sekunde, die über einen eher langen Spiralschlüssel justiert werden können. Sie ist in zwei russischen, dreischenkligen Stoßsicherungen gelagert und reguliert ein Palettenankerwerk nach schweizer Vorbild.
Typisch für russische Werke ist das hauchdünne Messingplättchen, das zwischen Grundplatine und Unruhkloben verbaut ist, und das Höhenspiel der Unruh vergrößert.
Da das Werk für normale Herrenuhren eigentlich zu klein im Durchmesser ist, wurde es zumindest bei quadradtischen Uhren (in den 1960ern en vogue) in einem massiven, quadratischen Werkhalter verbaut.
Auf der noch fast leeren Zifferbiattseite sieht man bei 12 Uhr schön das Gesperr. In der Kombination mit einem Kupplungsaufzug ist das sehr selten zu finden.
Das Zeigerwerk wird durch das Kleinbodenrad bei 9 Uhr nahe der Mitte indirekt angetrieben.
Interessant ist auch, dass das Zeigerstellrad sich unterhalb des Kronrads befindet, welches hier noch nicht innen abgedeckt ist.
Wie bei Werken mit zifferblattseitig angetriebenem Zeigerwerk üblich, wird auch hier das Viertelrohr mittels einer Rutschkupplung auf dem Minutenrad befestigt.
Optisch ist das Raketa 2209 auch zifferblattseitig ein Leckerbissen!
Fazit
So schön und faszinierend dieses Werk auch ist, seine Konstruktion ist leider weniger gelungen.
Sicher, es ist flach und es zeigt auch die Zeit an, aber die viel zu leichte Schraubenunruh führt zu enormen Lageunterschieden und reagiert sehr empfindlich auf Lageänderungen, und zusätzliche Übertragungsrad verschärft das Problem der durch die niedrige Bauhöhe zu flache und zu wenig kräftige Zugfeder.
Als Beleg dafür, zu welchen Leistungen die russische Uhrenindustrie binnen weniger Jahrzehnte gekommen ist, ist das Raketa 2209 bestens geeignet, vielleicht war das ja tatsächlich der Grund, wieso dieses ungewöhnliche Werk in den 1960er Jahren lanciert wurde.
Zeitwaagen-Ergebnis
Alle vorliegenden Werke liessen sich auf der Zeitwaage nur schlecht regulieren, man merkt ganz deutlich, dass die Konstruktion sich nachteilig auf die Ganggenauigkeit und Lagenstabilität auswirkt.Die gezeigten Werte beziehen sich auf das (leicht revisionierte) Werk der praktisch ungebrauchten Frackuhr.
horizontale Lagen | |||
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Zifferblatt oben | -70 s/Tag | 167° | 5.7ms |
Zifferblatt unten | -19 s/Tag | 177° | 9.9ms |
vertikale Lagen | |||
Krone rechts (12 oben) | +55 s/Tag | 162° | 6.1ms |
Krone oben (3 oben) | -320 s/Tag | 167° | 9.9ms |
Krone links (6 oben) | -300 s/Tag | 176° | 8.4ms |
Krone unten (9 oben) | +66 s/Tag | 171° | 5.5ms |
Technische Daten
Hersteller: | Raketa |
Kaliber: | 2209 |
Größe: | 9 3/4''' (gemessen: 22,0mm) |
Höhe: | 2,70mm |
Halbschwingungen pro Stunde: | 19800 |
Anzahl Steine: | 23 |
Hemmung: | Anker |
Unruh-Ausführungen: |
Monometallische Schraubenunruh (zweischenklig) |
Stoßsicherung(en): |
3-schenklig russisch |
Unruhlagerung / Richtung Spirale: | Gegenuhrzeigersinn |
beweglicher Spiralklötzchenträger: | nein |
Regulierorgan: | Spiralschlüssel |
Werksaufbau: |
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Bauweise: | Massivbau |
Aufzugstyp: | Kupplungsaufzug |
Winkelhebelfeder: | 5 Loch/Löcher |
Ausstattung: |
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Inventarnummer: | 21033 |